WOLFSBURG-VORSFELDE Nur acht Kämpfe bestritt die Sportlerin des MTV Vorsfelde, dennoch gab’s mit der Olympia-Nominierung ein Highlight. 2021 beginnt für sie in Doha.
Zwei Kämpfe im Januar in Tel Aviv, fünf im Februar in Düsseldorf und ein weiterer im November in Prag – gerade einmal acht Judo-Kämpfe hielt das Jahr 2020 für Giovanna Scoccimarro bereit. Es gab schon einzelne Monate, da machte sie mehr Kämpfe als im gesamten Corona-Jahr 2020. Und trotzdem deckten schon diese acht Vergleiche die ganze Bandbreite an Emotionen ab. Es waren zwölf Monate mit dem vielleicht größten sportlichen Erfolg, voll Hoffnung und Enttäuschung und einer der schmerzlichsten Niederlagen zum Abschluss bei den Europameisterschaften in Prag. Und so sagt die 23-Jährige mit Blick auf 2021: „Ich hoffe, dass einfach alles besser läuft als in diesem Jahr.“
Als Scoccimarro im Januar zum Grand Prix nach Israel reiste, da war Corona noch ganz weit weg. In Europa wurde natürlich schon über Covid-19 gesprochen, doch einen weltweiten Ausbruch hatte noch lange nicht jeder im Sinn. Tel Aviv war eine erste Standortbestimmung zum Start dieses so wichtigen Jahres, dessen Highlight die Olympischen Spiele im Sommer sein sollten. Der Zweikampf um das eine nationale Ticket für Tokio, den sich die U21-Weltmeisterin von 2017 mit Miriam Butkereit lieferte, begann mit einem kleinen Dämpfer für das MTV-Ass. Butkereit machte Boden auf die vorweg eilende Scoccimarro gut, sie erreichte das Trostrunden-Finale, während ihre Konkurrentin im Achtelfinale scheiterte.
Showdown in Düsseldorf: Bronze beim Heim-Grand-Slam
Der deutsche Judo-Bund rief den Heim-Grand-Slam in Düsseldorf zum großen Olympia-Showdown aus. Auch in der Klasse bis 70 Kilogramm ging es um nicht weniger als die Nominierung für Olympia. Und Scoccimarro lieferte: Sie erreichte bei dem topbesetzten Turnier den dritten Platz und Bronze nach einem Sieg im Trostrunden-Finale gegen die Südkoreanerin Kim Seongyeon, während das Turnier für Butkereit bereits nach dem ersten Kampf beendet war. Kurz darauf kam die Bestätigung schwarz auf weiß, der Verband nominierte die aus Ehra-Lessien im Kreis Gifhorn stammende Kämpferin. „Düsseldorf und die Nominierung war mein persönliches Highlight“, sagt sie auch heute.
Doch Corona kam immer näher, als in Deutschland der Lockdown beschlossen wurde, war die 23-Jährige gerade im Trainingslager auf Teneriffa, Covid-19 sorgte da schon dafür, dass der Rückflug verschoben werden musste. Doch noch hoffte Scoccimarro, dass sich ihr Olympia-Traum im Sommer erfüllen würde. Vergebens. Die Spiele wurden um rund ein Jahr verschoben, sollen nun vom 23. Juli bis zum 8. August 2021 stattfinden. „Die Verschiebung“, sagt sie, „ist immer noch besser als eine komplette Absage.“
Die Vorsfelderin arbeitete weiter hart an sich, am Stützpunkt in Hannover hat sie gute Bedingungen, immer wieder ging es zudem nach Kienbaum zu Trainingslagern. „Ich habe sehr viel an meinen Techniken arbeiten können und mich eigentlich auch stark verbessert“, so Scoccimarro. Auch wenn acht Kämpfe in diesem Jahr nicht sonderlich viele sind: Die Anspannung ist selten gewichen. Immer wieder standen konzentrierte Vorbereitungen und Trainingslager an, um dann doch wieder eine Absage für das nächste Turnier zu bekommen.
Neustart nach der Corona-Zwangspause: Europameisterschaften in Prag
Denn der Wettkampfbetrieb stand lange still. Erst im Herbst kristallisierte sich hier ein Neustart heraus, gleich mit den Europameisterschaften, die unter strengen Hygiene- und Sicherheitsvorschriften in der tschechischen Hauptstadt stattfanden. Weitere Turniere waren für den Rest des Jahres schon gar nicht in Planung für die deutschen Top-Judoka. Diese Zuspitzung auf die EM und die besonderen Corona bedingten Umstände, sie lähmten das Aushängeschild im Limit bis 70 kg. „Ich war vorher tierisch aufgeregt. Das letzte Mal war das vielleicht bei der U17-EM so.“ Das war 2012, sie nahm in Montenegro als 14-Jährige teil, schied im Achtelfinale aus, genau wie in Prag, als sie der Russin Madina Taimazova im Golden Score unterlag. „Wenn ich mir den Kampf ansehe, dann habe ich ein riesiges Fragezeichen im Gesicht, ich wusste nicht, was ich machen sollte. Das war sehr enttäuschend.“
Enttäuschend, weil sie dem eigenen Anspruch nicht genügte. Und enttäuschend, weil sie nach ihrer weiterhin bestehenden Nominierung für Olympia „zeigen will, dass ich diejenige bin, die verdient nominiert wurde.“ Die Corona-Pandemie hat aber auch persönliche Auswirkungen auf die Top-Sportlerin gehabt. „Ich habe dieses Sportler-Gen in mir: Hauptsache ich trainiere und ich kämpfe.“ Auch ein Schnupfen hielt sie lange nicht davon ab, zum Training zu erscheinen. „Jetzt habe ich noch einmal gemerkt, wie wichtig es ist, Rücksicht auf alle anderen zu nehmen“, sagt sie.
Geendet ist das Jahr für sie keineswegs tatenlos. Das MTV-Ass bereitet sich aktuell auf ihren ersten Wettkampf in 2021 vor. Vom 11. bis zum 13. Januar steigt das Doha-Masters in Katar, wo Scoccimarro auf zahlreiche Kämpferinnen aus der Weltspitze treffen wird, nur die japanischen Athletinnen sind nicht gemeldet. Vom 4. bis 8. Januar geht’s erneut nach Kienbaum, von Berlin aus direkt nach Katar. „Ich habe weiter trainiert und werde versuchen, dort 100 Prozent abzurufen“, sagt Scoccimaro. Schon im fernen Doha soll mehr als ein Kampf dazukommen. Und viele weitere sollen 2021 folgen, weit mehr als die acht in diesem schwierigen Corona-Jahr mit seinem frühen Hoch und dem langen Tief ab März.
Wolfsburger Nachrichten, 30.11.2020