Luca Rabsahl und Pascal Bock, zwei Sportler aus der Region, sprechen über ihre Erfahrungen mit Schmerzmitteln. DFB und DHB strengen Untersuchungen an, der Sportausschuss im Bundestag spricht darüber. Studie der NADA hat „alarmierendes“ Ergebnis.

Leonard Hartmann

Pascal Bock (in Blau) spielte viele Jahre für den MTV Vorsfelde. Sein Schmerzmittel-Ersatz: Adrenalin.                                               <b>Helge Landmann</b>                                              regios24
Luca Rabsahl (in Blau) vom SV Reislingen/Neuhaus spielte trotz einer Knöchelverletzung durch – mit schweren Folgen.                                               <b>Helge Landmann</b>                                              regios24

Luca Rabsahl (in Blau) vom SV Reislingen/Neuhaus spielte trotz einer Knöchelverletzung durch – mit schweren Folgen.  Helge Landmann regios24

Wolfsburg Luca Rabsahl ist ein positiver Typ. Natürlich vermisst er derzeit das Gefühl, auf dem Rasen zu stehen, zu grätschen, zu schießen und sich auszupowern. Aber wenn die Corona-Pandemie und die damit verbundene Zwangspause für den Amateursport nur einen lohnenden Aspekt hat, dann diesen: Rabsahls Knöchel kann sich mal richtig auskurieren. Endlich.

Denn der 28 Jahre alte Spieler des SV Reislingen/Neuhaus aus der Fußball-Landesliga hat wie viele andere Amateursportler in der Republik eine ganze Zeit lang unter Einsatz von Schmerzmitteln gespielt. Und seinen Körper damit nachhaltig geschädigt.

Ibuprofen, Diclofenac und Paracetamol sind die bekanntesten Mittel zur Schmerzunterdrückung, von den untersten Klassen bis hin in die Bundesliga sind sie im Einsatz. Auf die ganz große Bühne kam das Thema im Sommer, als die ARD-Doping-Redaktion gemeinsam mit dem Recherchezentrum „Correctiv“ einen Film veröffentlichte.

In „Pillenkick“ geben Amateure Einblicke in ihren Schmerzmittelkonsum, auch Profis kommen zu Wort. Neven Subotic, langjähriger Abwehrspieler von Borussia Dortmund, sagt etwa, dass die Pillen „wie Smarties“ eingeworfen würden.

Da der Film eine große Aufmerksamkeit erfuhr, befasste sich im Januar der Sportausschuss der Bundesregierung in einer Expertenanhörung mit dem Thema. Auch der Deutsche Fußball-Bund und der Deutsche Handball-Bund handeln. Der DFB will mit einer Schmerzmittelstudie erfahren, wie oft welches Mittel konsumiert wird; ob den Profis und Amateuren die Nebenwirkungen und möglichen Folgen bekannt sind; und welche Rolle die Mediziner spielen. Ähnliches erhofft sich der DHB von seiner Studie, die an der Universität Tübingen von Sportwissenschaftler Ansgar Thiel durchgeführt wird.

Rabsahl gehört zu den besten Amateurfußballern unserer Region. Im Januar 2017 stand sein Team, der SV Reislingen/Neuhaus, auf Rang 1 der Bezirksliga. Historisches war möglich, denn der Verein hatte nie zuvor in der Landesliga gespielt. „Der Aufstieg“, sagt Rabsahl, „war unser Ziel als Mannschaft und mein persönliches.“

In einem unbedeutenden Vorbereitungsspiel knickte der Mittelfeldspieler um und spürte Schmerzen im Sprunggelenk, die nicht weggingen. Der Gang zum Arzt kam nicht infrage. „Ich wollte aufsteigen, dem Team helfen.“ Der Arzt hätte ihm wahrscheinlich eine mehrwöchige Zwangspause verordnet. So warf Rabsahl vor den Spielen der Bezirksliga-Rückrunde immer Ibuprofen ein – ohne Sorgen. „Ich habe mir keine Gedanken über die Nebenwirkungen gemacht. Mögliche Folgen habe ich mit Blick auf den Aufstieg in Kauf genommen.“

Zunächst bemerkte er auch keine Nebenwirkungen. Nur musste er nach und nach die Dosierung erhöhen. Reichte anfangs noch eine Tablette, mussten irgendwann eineinhalb rein. Eine bittere Folge: Ließ die Wirkung nach den Spielen nach, konnte Rabsahl in den folgenden Tagen nicht mehr schmerzfrei laufen.

Irgendwann gingen die Schmerzen überhaupt nicht mehr weg, und er musste operiert werden. Doppelt bitter: Reislingen/Neuhaus verpasste den Aufstieg in dieser Saison. „Das mit den Schmerzmitteln“, sagt Rabsahl, der zuvor nie zu Tabletten gegriffen hatte, „war ein großer Fehler.“ Immerhin: Derzeit erholt sich das Gelenk des 28-Jährigen – hoffentlich nachhaltig.

Pascal Bock hat in seiner Karriere einige Mitspieler beobachtet, „bei denen die Pillen zur Routine vor dem Anwurf gehörten“. Der 30-Jährige gehörte bis vor einem Jahr zu den stärksten Handballern unserer Region, spielte bis auf ein kurzes Intermezzo in Kaiserslautern immer beim MTV Vorsfelde auf höchstem Amateurniveau.

Seine letzte Schmerzpille habe er etwa 2014 eingeworfen, sagt Bock. Nicht, weil er danach keine Schmerzen mehr gespürt hätte, die unterdrückt werden müssten. Nein. Er klärte sich auf. „Wir haben uns beim MTV mit dem Thema befasst“, erzählt er.

Mit der Physiotherapeutin sprachen die Spieler über den Nutzen von Ibuprofen, Diclofenac und Co. – aber eben auch ganz konkret über die Risiken. „Die Pillen lösen die Ursache nie, sondern schieben das Problem nur für einen gewissen Zeitraum zur Seite“, sagt Bock.

Den Handballern wurde die Alternative aufgezeigt: Athletiktraining, Stretching, Mobilität. „Damit kann man viele körperliche Probleme langfristig lösen.“ Aber die Alternativen haben im Gegensatz zu Schmerzmitteln zwei große Nachteile. Erstens ist es ein langfristiger Prozess und keine Soforthilfe. Zweitens ist es mühsam. „Das ist ein steiniger Weg. Doch er lohnt sich.“

Aufklärung und Offenheit – das sind Bocks Schlagworte, wenn es um übermäßigen Konsum von Schmerzmitteln geht und wie man diesen künftig eindämmen oder verhindern kann. Nie war es leichter, über die sozialen Medien wie Youtube oder Instagram vor allem junge Sportler zu sensibilisieren. „Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger“, sagt der Handballer, „sondern mit einem offenen Angebot. Mit Vorbildern, die authentisch aus ihren Erfahrungen berichten können.“

Am Ende muss jeder Sportler seine eigene Entscheidung treffen. „Aber wenn er vorab gut informiert wurde über mögliche Folgen und Nebenwirkungen“, sagt Bock, „dann fällt diese vielleicht anders aus als vor einigen Jahren bei uns.“

Daher findet er es positiv, dass sich DFB, DHB und die Bundesregierung mit dem Thema auseinander setzen. Beim DFB ist Schmerzmittelmissbrauch seit November des vergangenen Jahres ein fester Punkt in der Trainerausbildung. Bei den Profiklubs sind meist die Mannschaftsärzte verantwortlich für die Kontrolle der Spieler. Dr. Stephan Bornhardt und Dr. Gunter Wilhelm stehen der medizinischen Abteilung des VfL Wolfsburg vor.

Wilhelm sagt im Podcast mit unserer Zeitung, Schmerzmittel sind „ein Problem im gesamten Leistungssport“. Das sei allseits bekannt. Die Profis müssen genau dokumentieren, welches Mittel sie in welcher Dosierung eingenommen haben. „Es ist in deren Interesse, sich keinen Risiken auszusetzen“, sagt der Mediziner.

Denn die Strafen können drastisch ausfallen. Anfang des Jahres wurden zwei Spieler von RB Salzburg für je drei Monate gesperrt, weil sie bei der Reise mit der Nationalmannschaft Malis Mittel gegen die Höhenkrankheit eingenommen hatten, die aber auf der Dopingliste standen. „Die Spieler schicken uns daher ab und an Fotos von Nahrungsergänzungsmitteln mit der Bitte zu checken, ob sie die einnehmen dürfen“, sagt Bornhardt.

Die scharfen Kontrollen sollen einen sauberen Sport garantieren, ohne Doping. Schmerzmittel sind in bestimmtem Maße erlaubt – und werden zu häufig eingesetzt, hat die Nationale Doping Agentur (NADA) in einer Untersuchung herausgefunden, die sie diesen Monat veröffentlichte.

Demnach geben Profi-Fußballer in jeder dritten Dopingkontrolle an, in den vergangenen Tagen mindestens ein Schmerzmittel konsumiert zu haben. 8344 Tests aus fünf Spielzeiten der 1., 2. und 3. Liga wurden dafür analysiert. Das für die NADA „alarmierende“ Ergebnis: Ibuprofen, Diclofenac, Paracetamol und Co. gehören zum Profi-Fußball dazu wie gelbe Karten, Fouls und Tore.

Wie hoch die Quote bei Amateur-Fußballern und -Handballern ist, sollen die Studien des DFB und DHB zeigen. Im Sportausschuss des Bundestags waren sich die Experten einig, dass sowohl im Profi- als auch im Breitensport zu viele Schmerzmittel eingenommen werden. Prof. Dr. Frank Mayer, Ärztlicher Direktor der Hochschulambulanz an der Universität Potsdam, setzt auf Prävention und Aufklärung – genau wie Handballer Bock.

Der 30-Jährige hat für sich die beste Alternative zu Schmerzmitteln ohnehin schon längst entdeckt. „Adrenalin“, sagt er lachend. „Nach zwei, drei Minuten im Spiel, wenn es schon mit dem Gegner gekracht hat, dann spüre ich keinen Schmerz mehr, dann bin ich im Tunnel.“

Und darum geht es doch.

Wolfsburger Nachrichten, Seite 8, 22.03.2021