Pizza um die Ecke, Jubel im 450-Seelenörtchen: Was alles nach Scoccimarros WM-Silber passierte

Vize-Weltmeisterin: Giovanna Scoccimarro startet für den MTV Vorsfelde und kommt aus Lessien.

Ihr größter sportlicher Triumph sorgt nicht nur bei Giovanna Scoccimarro und dem deutschen Judo-Team in Doha für glückliche Gesichter. Auch in der Heimat der frischgebackenen Vize-Weltmeisterin wird gejubelt. Bei ihrem Verein MTV Vorsfelde und in ihrem Heimatdorf Lessien.

Doha. In der Nacht lag die Medaille auf dem Schreibtisch im Hotelzimmer in Doha, wartete dort, als Giovanna Scoccimarro zum ersten Mal als Vize-Weltmeisterin aufwachte. „Es ist noch ein bisschen surreal“, sagt das Judo-Ass des MTV Vorsfelde. Ein Blick aufs frischgewonnene Silber bestätigt aber: In der Klasse bis 70 Kilogramm hatte sie tags zuvor den größten Erfolg ihrer Karriere erreicht, musste sich erst im WM-Finale der Japanerin Saki Niizoe geschlagen geben. Als die erste Enttäuschung über den verlorenen Kampf schnell der Freude über das Erreichte wich, warteten Interviews, Pizza und zahllose Glückwünsche auf die 25-Jährige. Auch bei ihrem Heimatklub, dem MTV Vorsfelde, und ihrem Heimatort Lessien war der Jubel groß.

So viele Kämpfe wie noch nie

Was war das für ein Tag für Scoccimarro: Als sie bei der Siegerehrung aufs Podium stieg, hatte sie sechs Wettkämpfe in den Knochen. So viele wie noch nie, seitdem sie bei den Frauen startet. Weil natürlich bei Weltmeisterschaften die Startfelder rappelvoll sind – und weil sie bisher bei diesen Titelkämpfen immer vorm Viertelfinale ausgeschieden war.

Jetzt also das volle Programm – ohne Freilos, weil sie keinen Setzplatz hatte. „Und diese sechs Kämpfe fühlten sich an wie sieben oder acht“, verrät die Lessienerin. Weil sie dreimal in die Verlängerung, in den Golden Score gehen musste. „Ein dicker blauer Fleck am rechten Bein und eine angeschlagene Kapsel am linken Daumen“, zählt Scoccimarro die Blessuren des Tages auf. „Ansonsten ist alles gut.“

„Eine echt starke Leistung“

Scoccimarro ist ehrgeizig. Richtig ehrgeizig. Jeden Kampf gewinnen. Das ist das Ziel. Deshalb war sie auch nach dem verlorenen WM-Finale zunächst enttäuscht. „Aber am Ende des Tages kann ich sagen: Ey, ich habe den zweiten Platz bei einer WM gemacht, das ist schon eine echt starke Leistung!“

Für Frauen-Bundestrainer Claudiu Pusa war es ein Wettkampftag nach Maß. „Wir haben Silber gewonnen, das ist Gold wert für das ganze Team“, sagt er glücklich über die erste Medaille für Deutschland in Doha. „Ich bin mit Giovannas Leistungen sehr zufrieden. Nach ihrem Comeback wurde sie von Wettkampf zu Wettkampf immer besser. Sie hat fast das gesamte Podium von Olympia geschlagen. Für die nächsten Tage kann uns dieses Ergebnis Schwung für das ganze Team bringen.“

Am Sonntag steigt der Mixed-Team-Wettbewerb

Auch Sportdirektor Hartmut Paulat sieht mit dieser Medaille eine Initialzündung im Team. „Nach den ersten Tagen, die nicht so liefen, wie wir uns das vorgestellt hatten, ist die Stimmung im Team eine ganz andere und wir hoffen, dass in den nächsten Tagen noch etwas dazukommt und sich auch auf den Mixed-Team-Wettbewerb am Sonntag gut auswirkt.“ Gestern ging der DJB zwar wieder leer aus, aber zwei Tage läuft die WM noch.

Scoccimarro war am Donnerstag erst um 20.30 Uhr im Hotel, groß feiern konnte sie nicht mehr. „Ich hatte noch ein paar Interviews, bin dann mit meinem Trainer zum Pizza-Laden um die Ecke.“ Derweil gingen die Glückwünsche ein. Gab’s einen neuen WhatsApp-Nachrichten-Rekord? „Das kann sein“, lacht Scoccimarro. „Es gab auch viele Glückwünsche auf Instagram. Ich freue mich über jeden, bin dabei, noch dabei alles abzuarbeiten.“

„Eine wunderbare Geschichte“

Glückwünsche kommen auch aus der Heimat. Lutz Hilsberg, Vorsitzender von Scoccimarros Heimatverein MTV Vorsfelde, sagt: „WM-Silber ist eine wunderbare Geschichte. Sie hat wirklich noch eine starke Bindung an den Verein. Das ist nicht nur auf dem Papier so. Wir freuen uns, dass über die Jahre, die wir ihren Weg begleiten, die Bindung gleichgroß geblieben ist.“

Gejubelt wurde auch in Lessien, einem 450-Seelenörtchen, in dem die Familie von Giovanna zuhause ist. „Wir sind begeistert, dass sie nach der Vorgeschichte mit dem Kreuzbandriss so zurückgekommen ist“, sagt Ehra-Lessiens Bürgermeister Jörg Böse. „Dieser Erfolg sollte doch ein Riesenschritt in Richtung Olympia-Quali für Paris sein, für die wir ihr ganz besonders die Daumen drücken.“ Dass die WM-Silbermedaillen-Gewinnerin zwar in Hannover arbeitet und trainiert, ihr Elternhaus in Lessien aber ihr Ruhepol sei, „das freut uns hier alle sehr“.

Von Maik Schulze, WAZ 12.05.2023