1915-1929

Leistungskader des MTV Vorsfelde Anfang der 30er-Jahre. Viel Wert wurde auf ein einheitliches Auftreten gelegt. Dazu gehörten auch die Logos an der Bekleidung.

Von Dietrich Köther

Das Ende des Ersten Weltkrieges am 11. November 1918 brachte für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung und somit auch für Vorsfelde Einschränkungen auf sozialem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Das hatte zur Folge, dass die Rahmenbedingungen für den Sport und das Turnen ungünstig waren. Von Frankreich als Aggressor des Ersten Weltkrieges bezeichnet, wurde das Deutsche Reich von den Olympischen Spielen und bis 1925 aus den internationalen Sportverbänden ausgeschlossen. Der Artikel 117 des Versailler Vertrages verbot den Kontakt zwischen Sportverbänden und Militärbehörden. In allen Vereinen hatte der Krieg durch den Tod vieler Soldaten große Lücken hinterlassen. Auch der MTV Vorsfelde musste den Verlust von 15 Turnbrüdern beklagen. Dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit folgend, fielen auf dem Felde der Ehre folgende Vereinsmitglieder:

Otto Schnelle, Willi Mahlmann, Fritz Lucas, Heinrich Schrader, Ernst Jordan, Otto Drevenstedt, Paul Ohage, Erwin von Knoblauch, Kurt Fuhrmann, Wilhelm Hachmann, Bruno Vogelsang, Hermann Schulze, Fritz Meyer, Franz Ludwig.

MTV-Mitglieder bei einer Ausflugsfahrt in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Man genoss die Zeit des Friedens und hielt sich an Turnvater Jahn. Der Verein war längst mehr als Sport, er war auch Sinnbild für Gemeinsamkeit.
Festumzug durch die obere Meinstraße in den 20er-Jahren. „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ steht auf den Girlanden am Pferdefuhrwerk. Die Werte aus dem Biedermeier galten bei den Turnern immer noch, sie hielten sie in Ehren.

Bis auf Letzteren sind alle Namen auf der Gedenktafel der Gefallenen des Ersten Weltkrieges am Vorsfelder Ehrenmal verzeichnet. Da der MTV auch auswärtige Mitglieder in seinen Reihen hatte, handelte es sich wohl um einen Turner aus den umliegenden Dörfern. Nur knapp zwei Monate nach dem Kriegsende, am 4. Januar 1919, trafen sich die Mitglieder des Vereins zu ihrer ersten Hauptversammlung. Die Vorstandswahl ergab fast dieselbe Zusammensetzung wie die vorhergegangene Wahl von 1915. W. Gruß wurde wieder zum Vorsitzenden gewählt. Somit blieb die Kontinuität im Verein gewahrt. Ein Kassenbestand war nicht mehr vorhanden, da die Summe aus patriotischen Gründen während des Krieges dem Roten Kreuz übergeben worden war. Bei den Vereinseintritten wurde ein moderner Weg beschritten. Nicht mehr durch das strenge Ballotement, sondern per Akklamation fanden nun die Bewerber Aufnahme. So konnte der Verein schon 17 Bewerber verzeichnen. Leider ist nicht zu entnehmen, ob es sich um aktive oder passive Mitglieder handelte. Trotz beginnender Inflation beharrte der Kassenwart noch auf einem monatlichen Beitrag von 30 Pfennig. Alle Anwesenden der ersten Versammlung wollten das Turnen und die schon bestehenden Ballspiele aktivieren und trotz wirtschaftlicher Not an die Feste der Vorkriegszeit anknüpfen. Ein Rekrutenabschiedsfest gab es natürlich nicht mehr, denn das Diktat von Versailles ließ bei einem 100 000 Mann starken Heer eine allgemeine Wehrpflicht nicht zu. Das Ende des Kaiserreiches brachte auch für die Frauen politische und gesellschaftliche Veränderungen. Sie erhielten das volle aktive und passive Wahlrecht, nachdem 1906 Finnland als erstes Land der Welt dieses eingeführt hatte. An der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 konnten die Frauen erstmals teilnehmen. Die Emanzipation brachte auch Bewegung in die Vereinsstruktur des Männerturnvereins. So beschlossen die Frauen auf ihrer ersten Nachkriegsversammlung am 2. Mai 1919 als stimmberechtigte Mitglieder dem MTV beizutreten, behielten sich aber vor, über die Eintrittsgesuche in die Damenabteilung allein abzustimmen. Auch beim ersten Bezirksturnfest in Fallersleben nach dem Krieg am 17. August 1919 nahmen die Turnerinnen neben zwei Männerriegen teil. Weitere Turnfeste der Umgebung wurden aber abgesagt. Das Protokoll der Hauptversammlung am 17. Januar 1920 vermerkte 16 Mitglieder, fünf Zöglinge, also fünf Turner im Jugendalter, und 21 Turnerinnen. Auffallend ist die geringe Zahl der Jugendlichen. Dagegen war die Zahl der erwachsenen Turner und Turnerinnen trotz der Kriegsereignisse nur geringen Schwankungen unterworfen. Nach 1919 war das Interesse am eigentlichen Turnen zurückgegangen. Andere Sportdisziplinen wie Ballspiele hatten größeren Zulauf. So vermissten ehemalige Frontsoldaten beim Geräteturnen das „Kampfmoment“. In der unmittelbaren Nachkriegszeit, also in der Zeit der Not, erwies sich der Sport als Kraft, die das gesellschaftliche Gefüge der Turn- und Sportverbände intakt hielt. Das vernünftige Nebeneinander möglichst vieler Sportarten wurde angestrebt. Bei den deutschen Turnfesten zeigte sich die sinnvolle Verbindung von Gymnastik, Turnen und Leichtathletik. Die Vereinsführung des MTV erkannte den Trend der Zeit und wählte neu in den Vorstand einen Spielwart. Neben der Turn- sollte gleichzeitig eine Sportabteilung angegliedert werden. Eine Spartenbildung zeichnete sich schon jetzt ab. Ballspiele wie Faust- und Schlagball hatten schon früh Eingang in das Vereinsleben gefunden. Vom Fußball sah man ab. Denn in Turnerkreisen galt dieser Sport als roh und stand im Gegensatz zum ästhetischen Empfinden der Turner. Da aber bei vielen Vorsfelder Jugendlichen der Wunsch bestand, Fußball zu spielen, gründete sich im Spätsommer 1921 der Spiel- und Sportverein Vorsfelde, der in den ersten Jahren seines Bestehens ein reiner Fußballverein war. Da im selben Jahr durch den „Reit- und Fahrverein Vorsfelde und Umgebung“ eine weitere Vereinsgründung stattfand, gab es eine Interessenkollision der Sport treibenden Vereine bei der Benutzung des Festplatzes am Schützenhaus. Denn besonders der Reitverein beanspruchte zur Durchführung seiner Turniere regelmäßig ein größeres Areal. Das Platzproblem konnte erst 30 Jahre später mit der Errichtung des Drömlingstadions gelöst werden. Die Deutsche Turnerschaft vertrat eine bürgerlich liberale Position, die sich nach der Reichsgründung 1871 um eine nationale Komponente erweiterte. Diese Entwicklung konnte man ohne Einschränkungen auf den MTV übertragen.

Und noch einmal Jahn: „In der Turnkunst liegt ein Einigungsmittel, was die Unterschiede von Glauben, Landschaft und Stand hinwegräumt“, heißt es in der Bildunterschrift zu diesem 90 Jahre alten Foto.

Während des Kaiserreiches am Ende des 19. Jahrhunderts wählte die Mehrzahl der Vorsfelder Bevölkerung nationalliberal und später agrarkonservativ. Dieser Trend setzte sich in den ersten Jahren der Weimarer Republik fort. Die bürgerlich-liberale Deutsche Demokratische Partei fand in Vorsfelde eine Mehrheit.(20) Es war daher ein besonderes Anliegen des Turnvereins, seine im Weltkrieg gefallenen Mitglieder durch das Anbringen einer Namenstafel im Vereinslokal zu ehren. Unter Beisein von Angehörigen der gefallenen Vereinsmitglieder, Freunden des Vereins und vielen auswärtigen Turnern wurde die Tafel 1922 feierlich enthüllt. „Die Feier war eindrucksvoll und würdig, der Männergesangsverein hatte durch Vorträge stimmungsvoller Lieder die richtige Weihe gegeben. Hermann Brandt hielt eine eindrucksvolle Ansprache.“ Über den Verbleib der Ehrentafel lässt sich 90 Jahre später nichts mehr feststellen. Wie sehr die toten Turnbrüder landesweit noch die Gedankenwelt der Turner beherrschten, geht auch daraus hervor, dass der Überschuss des Wintervergnügens an den Denkmalfonds für gefallene Krieger gespendet wurde. Der MTV pflegte und förderte stets die Vorsfelder Festkultur. So beteiligte er sich auch mit einem Schauturnen am ersten Sportfest des SSV, wobei der Fußballverein gemeint war. Nachdem sich schon einige Monate zuvor eine Knabenabteilung im Verein etabliert hatte, wollten die Mädchen nicht außen vorstehen. Unter der Leitung eines hiesigen Lehrers wurde eine Mädchengruppe gegründet. Diese konnte sich schon bei der 60-Jahr-Feier des Vereins am 3. Dezember 1922 der Öffentlichkeit vorstellen. Die immer stärker werdende Inflation hatte auch für die Vereinsmitglieder wirtschaftliche Folgen, sodass das Fest im bescheidenden Rahmen ablief und nur unter Mitwirkung der eigenen Abteilungen stattfand. In Folge der Geldentwertung bewegten sich die Einnahmen und Ausgaben im fünfstelligen Bereich. Allerdings wurde das Inventar noch mit 750 Mark angesetzt. Aus Gründen der Lichtersparnis legte der Verein die Turnabende der Turner und Turnerinnen zusammen. Die Elektrifizierung der ländlichen Regionen, zu denen auch Vorsfelde zählte, war ein Vorgang, der sich über mehrere Jahre hinzog und erst 1920 seinen Abschluss fand.(21) 24 langjährige und verdiente Mitglieder des Vereins wie der Schuhmachermeister Gruß, der frühere Vereinswirt Oehlmann und Malermeister Hellwig wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt. Rudolf Behrens bekleidete als Vorsitzender dieses Amt bis 1939. Die Deutsche Turnerschaft (DT) beanspruchte in allen Sportverbänden das Turnmonopol. Ballspielen, Leichtathletik und Schwimmen wollten die Funktionäre der DT nicht in ihren Reihen sehen und erreichten 1925 die sogenannte „Reinliche Scheidung“. Darauf kündigte die DT ihre Mitgliedschaft im Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen.(22) Dieser Streit zwischen Turnen und Sport war völlig realitätsfern und eine Tat machtgieriger Funktionäre. Aber schon ein Jahr später musste unter Druck der Öffentlichkeit dieser Beschluss aufgehoben werden, denn Spiel und Sport waren längst in den Turnvereinen zu einem festen Bestandteil geworden. Der MTV Vorsfelde führte seinen Sportbetrieb auch in gewohnter Weise weiter und ließ sich nicht von übergeordneten Verbänden gängeln. Schließlich war ein Mitgliederschwund von keiner Seite gewünscht. Ein eingeschränktes Sportangebot hätte auch die Folge sein können. Das Krisenjahr 1923 mit der totalen Geldentwertung brachte auch dem Verein wirtschaftliche Einbußen. Allerdings hatte Vorsfelde durch seine vorwiegend landwirtschaftlich geprägte Struktur die Inflation besser überstanden als Städte mit großem Mittelstand, der aber ohne Grundbesitz war. So brauchte der MTV aus Kostengründen nicht auf sein beliebtes Winterfest zu verzichten, führte aber dieses Vergnügen gemeinsam mit dem Krieger- und Landwehrverein durch, zu dem ohnehin stets ein freundlicher Kontakt bestand. Dieses ließ sich nicht immer von dem 1921 gegründeten „Reit- und Fahrverein Vorsfelde und Umgebung“ sagen. Durch die gemeinsame Nutzung des Bürgerplatzes gab es Interessenkollisionen, und so musste der MTV beim Reitverein mehrmals vorstellig werden, um ein von den Reitern niedergelegtes Reck von diesen wieder aufbauen zulassen. Außerdem wurde der Reitverein von vielen Vorsfeldern schlicht als snobistisch angesehen.(23) Die Idee des Gemeinderates zur Einrichtung einer Badeanstalt fiel bei den Vereinsmitgliedern auf fruchtbaren Boden. Durch Werbung und Sammlung unter den Mitgliedern kam eine Summe von 1400 Mark zusammen.(24) Die Gemeinde konnte ein Gelände unterhalb der Allerbrücke als Badeanstalt bereitstellen.

Badefreuden in Vorsfelde: Auch das gab es einmal. Nachdem die Badeanstalt unterhalb der Allerbrücke verlandet war, wurde munter im neuen Mittellandkanal geschwommen.

Doch die Badefreuden fanden bald ein Ende, denn die Anlage verschlammte und war deshalb nicht mehr nutzbar. Der Kanalbau erreichte Vorsfelde 1927, doch es dauerte noch einige Jahre, bis die Vorsfelder in diesem Gewässer auch schwimmen konnten. Der am 21. April 1912 im Vereinslokal des MTV gegründete Turnbezirk Vorsfelde musste seine Tätigkeit während des Ersten Weltkrieges ruhen lassen und konnte seine Arbeit erst 1919 wieder aufnehmen. In dem Turnbezirk hatten Vorsfelder Turner eine führende Rolle inne. So wurden 1925 Hermann Behrens für seine mehrjährige Arbeit als Vorsitzender und Wilhelm Diedrichs als langjähriger Schriftführer durch den Gau Braunschweig wegen ihrer Verdienste mit Ehrenbriefen ausgezeichnet. Der Bezirkssportwart Hermann Witte gab die Anregung, Handball nach Möglichkeit in jedem Verein einzuführen. In Vorsfelde selbst wurde dieser Vorschlag mit Freuden begrüßt, hatte man doch schon eine komplette Mannschaft beisammen und suchte Spielpartner. Ein Werbespiel zweier Braunschweiger Mannschaften sollte in Vorsfelde die Schönheit und Dynamik dieser Sportart zeigen. Im selben Jahr fand ein Sternstaffellauf zum Hermannsdenkmal statt, an dem 120 000 Läufer teilnahmen.(25) Dieser Lauf sollte an den Sieg des Cheruskers Hermann im Jahr 9 nach Christus über die Römer erinnern. Der Vorsfelder Turnbezirk organisierte in hiesiger Gegend den Lauf und schickte ca. 200 Turner und Turnerinnen auf die Strecke. Für den Vorsfelder Verein bedeutete der Lauf eine machtvolle Demonstration der Turner. Nach Beendigung der Veranstaltung feierten MTV und Landwehrverein gemeinsam. Die Deutsche Turnerschaft zeigte hier nationale Werte und lieferte den Beweis, dass sie in der Kontinuität deutscher Geschichte stand. Hier zeigte sich ein Gegensatz zum Deutschen Arbeiter-, Turn- und Sportbund, der sich noch dadurch verstärkte, dass seine 650 000 Mitglieder seitens der Regierung mit der gleichen Unterstützungssumme bedacht wurde wie das bürgerliche Lager der Turnerschaft mit zusammen 2,4 Millionen Mitgliedern.(26) Vorsfelder Lehrer, insbesondere Rektor Wallstab, gaben dem Verein auch eine kulturelle Komponente. Werbeabende mit Tanz und Vorträgen, zum Beispiel über Hermann Löns, machten auch weniger sportbegeisterte Mitbürger auf den Verein aufmerksam. So zählten nun auch Dr. Schulze, Dr. Almes, Karl Röbbel und Franz Karweil zu den neuen Mitgliedern. Selbst Franz Schulze als Vorsitzender des Reitvereins hielt es nach der Bürgermeisterwahl für opportun, dem MTV beizutreten.

MTV-Sportler in den 20er-Jahren. Über ihnen flattert stolz der Wimpel des Vereins. Sieger bekamen damals noch große Kränze. In unserer Region üblicherweise aus Eichenlaub und nicht aus Lorbeer wie die antiken Vorbilder.

Die gute Jugendarbeit des Vorsfelder Rektors fand auch ihren Niederschlag in seiner Wahl zum Jugendwart des Turnbezirks. Hier organisierte er für die angeschlossenen Vereine Wanderungen mit den Jugendgruppen in die nähere Umgebung. Im Verein selbst wurde die Anrede „Turnbruder“ üblich, während im Bezirk der Vorsitzende bis 1925 in Anlehnung an die Republik noch mit „Genosse“ angeredet wurde. Der Braunschweiger Turngau übertrug die Ausrichtung des Gauturnfestes dem MTV Vorsfelde, welches dieser gemeinsam mit der Vorsfelder Schützenbrüderschaft feierte. Das Turnfest brachte ein Defizit von 66,70 Mark. Den Fehlbetrag glichen großzügige Spenden von Vorsfelder Landwirten und Kaufleuten aus. Die Faustballer wurden 1926 erstmalig Bezirksmeister. Als sie trotz Zusage zu einem Faustballturnier in Königslutter nicht erschienen waren, wurde der Verein mit einer Strafe belegt, die von den säumigen Turnern selbst bezahlt werden musste. Nach dem Ende des Sportboykotts durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges setzte ab 1925 im Deutschen Reich ein Sportboom ein. Die Zeitungspresse brachte verstärkt Berichte, und das Radio hielt Einzug in die Häuser der Bevölkerung. Auch die große Politik erkannte die Bedeutung des Sports. So erklärte Außenminister Stresemann: „Die Deutsche Turnerschaft leistet Erziehungsarbeit im Stillen und ohne großes Tamm Tamm.“ Reichspräsident Hindenburg schrieb. „Leibesübungen müssen die Lebensgewohnheit des Volkes werden.“(27) Adenauer als Oberbürgermeister von Köln erklärte: „Sport als Arzt am Krankenlager der Deutschen Nation.“ An den Schulen wurden nun die Leibesübungen ein gleichberechtigtes Lehrfach neben naturwissenschaftlichen und anderen Fächern. Durch neue Impulse im Sport setzte in den größeren Städten eine rege Bautätigkeit ein, die neue Stadien und Hallen schuf. Die ländlichen Gebiete wollten dem nicht nachstehen, stießen aber bald an ihre finanziellen Grenzen. Während es dem MTV Fallersleben gelungen war, 1923 eine vereinseigene Sporthalle einzuweihen, musste sich der MTV Vorsfelde nach Jahn’scher Art im Sommer einen Turnplatz im Freien nehmen und im Winter mit dem Saal des Schützenhauses begnügen. Doch die Gemeinde Vorsfelde unter ihrem rührigen Bürgermeister Schulze wollte Abhilfe schaffen. Es sollte eine Holzhalle in Rothenfelde gekauft und diese in Vorsfelde wieder aufgestellt werden, um sie als Turnhalle zu nutzen. Da die Halle auch gleichzeitig den Reitern dienen sollte, sah der Verein darin nicht das Ideal eines Turnortes. Er forderte einen abgegrenzten Raum von 10 x 24 Metern, der nicht zu Reitzwecken genutzt werden durfte. Für größere Veranstaltungen müsste die gesamte Halle zu Verfügung stehen. Auch sollte die jährliche Miete 100 Mark nicht überschreiten. Der Vereinsvorstand hielt es für sinnvoll, sich in Bodenwerder und Langelsheim Turnstätten anzuschauen und Unterlagen über deren Bau zu beschaffen. Da die Bedenken des MTV zu groß waren, sah der Gemeinderat von einem Kauf ab. Die Gemeindespitze hatte wohl in erster Linie eine Reithalle im Auge gehabt. Die Vorstandswahlen wichen seit 1927 von einem strengen Reglement ab, denn es genügte durch Zuruf, einen kompletten Vorstand zu wählen. Der erweiterte Vorstand bestand aus 14 Turnern und Turnerinnen. Da die Vereinstätigkeit stark zugenommen hatte, hielt man an jedem ersten Sonnabend im Monat eine Vorstandssitzung ab. Die Knaben- und Mädchenabteilungen fanden großen Zuspruch, bildeten aber noch keine eigenen Sparten. Der Beitrag betrug für Erwachsene vierteljährlich eine Mark. Um sich noch stärker der Öffentlichkeit zu präsentieren, wurde mit dem Kämmerer Arnold Lieberodt erstmals ein Pressewart bestimmt. Anlässlich des 80. Geburtstages des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der 1925 zum Nachfolger Friedrich Eberts gewählt worden war, veranstaltete der Verein am 2. Oktober 1927 eine Hindenburgfeier. Hindenburg war ein Anhänger preußischen Denkens und stammte aus einer alten Adelsfamilie. Für viele Deutsche galt er als eine Art Ersatzkaiser und genoss als Sieger von Tannenberg in Deutschland großes Ansehen. Da die Mehrzahl der Vorsfelder Bevölkerung nationalkonservativ dachte und bei Reichstagswahlen entsprechend wählte, erhielt Hindenburg in Vorsfelde 69,8 Prozent der abgegebenen Stimmen.(28) So war es auch für den MTV ein besonderes Anliegen, des Reichspräsidenten an seinem Geburtstag gebührend zu gedenken. Mit Freiübungen, Staffelläufen, Turnvorführungen und Ballspielen sollte der Nachmittag ausgefüllt werden. Abends war ein Film über die Schlacht bei Tannenberg geplant. Gemeinsame Lieder und ein Theaterstück rundeten den Tag ab. Gesangverein, Landwehrverein und Sportverein waren Gäste bei der Veranstaltung. Sportlich gesehen war das Jahr 1927 für den Verein überaus erfolgreich. Seine Mitglieder erkämpften viele Siegerurkunden. Besonders Hermann Witte konnte sich in seiner Altersgruppe auf Bezirksebene auszeichnen. Zahlreiche Bürger fanden den Weg zum MTV, u. a. der spätere Bürgermeister Max Valentin und Lotte Landmann (Rieke), die fast 80 Jahre dem Verein angehörte. Der Schriftführer Wilhelm Diedrichs erhielt den Ehrenbrief der Deutschen Turnerschaft für seine Verdienste. Er war 30 Jahre Schriftführer des MTV. Auch im Turnbezirk Vorsfelde war Diedrichs schon fast zehn Jahre als Schriftwart tätig. Obwohl auch heute viele Mitglieder langjährige Treue zum Verein zeigen, so fand dieses Engagement auch nach Jahrzehnten besondere Beachtung. Nach außen repräsentierte sich der MTV durch den Besuch des Deutschen Turnfestes in Köln mit 18 Vereinsmitgliedern. Rektor Ahrens, der auch einige Jahre Vorsitzender des Turnbezirks Vorsfelde war, übernahm den Posten des Jugendwarts im Verein. Die positive wirtschaftliche Entwicklung des Deutschen Reiches ab 1925 wirkte sich nicht auf das landwirtschaftlich strukturierte Vorsfelde aus. Die Krise in der Landwirtschaft, auch hervorgerufen durch die hohen Zinsen der aufgenommenen Kredite, veranlassten Vorsfelder Gemeinderäte zu einem Schreiben an die Reichsregierung. Diese sollte den Drömling zu einem Notstandsgebiet erklären, um staatliche Förderung zu ermöglichen. Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise verschärfte die immer mehr um sich greifende Arbeitslosigkeit. (29) Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass der MTV in gewohnter Weise sein Wintervergnügen feiern konnte. „Eine Preismaskerade ist abzuhalten, dazu sollten 4 Preise von 20 bis 25 Reichsmark gestiftet werden. (…), die Musik soll vom Musikdirektor Huhn für 8 Mann für 80 RM ausgeführt werden. (…) Als Eintrittsgeld sollen 75 Pfennig erhoben werden. Vereinsmitglieder und Freunde haben 1 RM zu zahlen. (…) Im „Vorsfelder Boten“ soll eine zugkräftige Bekanntmachung erfolgen. Wegen der zu liefernden Maskenkostüme soll mit dem Garderobenverleiher Lang in Braunschweig in Verbindung getreten werden. Der Vereinswirt Stute erklärt sich bereit, für die Ausschmückung des Saales 12 bis 15 RM zu stiften. (…) Im Übrigen soll möglichst sparsam gewirtschaftet werden.“ Trotz wirtschaftlicher Not verstand es der Turnverein zu feiern, und noch erstaunlicher ist die Abrechnung der Maskerade, die laut Protokoll einen Überschuss von 162,22 RM ergab. Mit einem Schauturnen trat der MTV an die Öffentlichkeit.

M.T.V. Vorsfelde 1862: In Schwarz-Grün, den Farben der traditionsreichen Stadt Vorsfelde, gehalten, zeigte sich der neue Wimpel 1927. Fehlen durfte natürlich auch nicht der Keiler, das Wappentier der Stadt.

Um sich vor einem größeren Publikum zu präsentieren, fand dieses sportliche Ereignis im Saal des Schützenhauses statt. Der neue Vereinswirt Stute, der die ehemals Oelmann‘sche Gaststätte übernommen hatte, war darüber verärgert und betonte gegenüber dem Vereinsvorstand, dass er auf die Anwesenheit der Turner in seinem Saal keinen Wert mehr lege. Man hatte dort früher schöne Stunden verlebt, ohne jemals mit dem damaligen Gastwirt Oelmann Meinungsverschiedenheiten gehabt zu haben. Der Vorsitzende Rudolf Behrens trat daraufhin mit dem Schützenwirt Lübbecke in Kontakt. Dieser war bereit, seinen großen Saal im Schützenhaus dem MTV zur Verfügung zu stellen. Die Generalversammlung genehmigte den Lokalwechsel.

(20) Geschichte Vorsfeldes, Bd. 2
(21) Geschichte Vorsfeldes, Bd. 2
(22) Diem, Carl, Weltgeschichte des Sports und der Leibeserziehung
(23) Geschichte Vorsfeldes, Bd. 2
(24) Protokoll Nr. 164 des MTV Vorsfelde
(25) Eisenberg, Christiane, English Sport und Deutsche Geschichte
(26) ebd. S. 360
(27) Diem, Carl, Weltgeschichte des Sports und der Leibeserziehungen, S. 987
(28) Geschichte Vorsfeldes, Bd. 2, S. 53
(29) Geschichte Vorsfeldes, Bd. 2, S. 54