1930-1932

Am 21. Februar 1930 erfolgte die Räumung des bisherigen Vereinslokals. Der Turnwart brachte zur Sprache, dass der Neue Männerturnverein Vorsfelde von 1897 mit dem MTV 1862 eine Fusion beabsichtigte. Die Vorstände beider Vereine sollten sich in Verbindung setzen. Mit dem Neuen MTV hatte der Turnbezirk Vorsfelde nicht immer Freude gehabt. War der neue Verein 1919 bei der ersten Jahrestagung nach dem Ersten Weltkrieg anwesend, so fehlte er doch in den folgenden Jahren häufig. Ohne offiziell aus dem Turnbezirk ausgetreten zu sein, stellte er seine Beitragszahlungen ein. 1928 stimmte er zu, das Bezirksturnfest auszurichten, lehnte dies aber vier Wochen vor dem festgesetzten Termin wieder ab. Die Begründungen dafür waren für den Bezirksvorstand nicht nachvollziehbar. Leider kam es nicht zu einem Zusammenschluss der beiden Männerturnvereine. Die Radikalisierung der extremen Parteien verstärkte sich im Deutschen Reich Ende der 20er-Jahre.

Das 14. Deutsche Turnfest in Köln. Es war ein einmaliges Erlebnis für die Turner des MTV Vorsfelde, an der riesigen Zusammenkunft von Sportlern aus allen Teilen der Republik teilnehmen zu können. Darüber wurde im Ort noch lange geredet.

Auch die Arbeiterturnvereine traten in engere Beziehungen zu SPD und Gewerkschaften. Seit 1927 driftete ein Teil der Arbeitersportverbände zu den revolutionären Sportgruppen der KPD ab, die den Weg zum Sozialismus verfolgten.(30) Für Vorsfelde dürfte das nicht der Fall gewesen sein, denn die KPD erreichte bei der Reichstagswahl von 1930 nur rund ein Prozent der Wählerstimmen. Während 1930 der Bezirksturnwart beklagte, dass das Frauenturnen erheblich zurückgegangen wäre, konnte der MTV sogar über eine neue Frauenabteilung berichten, die den Turnerinnen angegliedert wurde. Da man damals noch streng zwischen Frau und Fräulein unterschied, dürfte es sich bei der neuen Abteilung um verheiratete Frauen handeln, die trotz Familie ihre Freizeit mit Sport ausfüllen wollten. Auch allgemein musste der Bezirksvorsitzende einen Mitgliederschwund im Bezirk beklagen. Nur noch 417 Sportler gehörten ihm an. Aber hierzu muss bemerkt werden, dass mit Heiligendorf ein Verein den Bezirk gewechselt hatte und der MTV Hehlingen sich auflöste. Dem Turnbezirk oblag auch die Organisation gesellschaftlicher Veranstaltungen für die ihm angeschlossenen Vereine.

So führte er alljährlich am Himmelfahrtstag eine Sternwanderung durch. Wie diese 1930 ablief, beschreibt ein Protokoll: „Die Vereine aus Bergfeld, Rühen und Brechtorf kommen per Fahrrad nach Vorsfelde. Hier treffen sie sich mit dem Vorsfelder Verein an der Allerbrücke und wandern gemeinsam über Reislingen nach dem Kuhberg nach Heßlingen. Die Vereine aus Grafhorst, Velpke und Danndorf treffen sich in Reislingen-Sandkrug und wandern von dort. Die Vereine aus Fallersleben, Sülfeld und Ehmen gehen gemeinsam über den Klieversberg nach dem Kuhberge. Dort sollen alle um 9 Uhr eintreffen. Anschließend erfolgt eine Morgenandacht.

Eine Delegation aus Vorsfelde reiste 1928 zum 14. Deutschen Turnfest nach Köln. Auf dem Bild haben es die stolzen Teilnehmer handschriftlich vermerkt.

Milch und alkoholfreie Getränke sind um 10 Uhr zu bestellen. Spiele, Tänze und Aufführungen sollen die Zeit bis 12 Uhr ausfüllen. Danach erfolgt der Rückmarsch.“ Daraus lässt sich erkennen, dass frühes Aufstehen zu den Tugenden der Turner und Turnerinnen gehörte. Ob die „Mannsbilder“ auf ihr gewohntes Bier verzichteten, mag dahingestellt bleiben. Wie zu Gründungszeiten hatte der Gesang noch seinen festen Platz in der Turnerbewegung, denn 20 neue Turnliederbücher wurden vom hiesigen Verein angeschafft. Ab 1930 war es in Vorsfelde schwer, das allgemeine Sommerfest durchzuführen. Auch wenn zwei Vereine wie der Bürger- und der Schützenverein das Fest gemeinsam gestalteten. Ein Jahr später mussten die Vereine die Gemeindevertreter bitten, das Volksfest zu finanzieren. Aber die Kosten konnten von der Gemeinde nicht übernommen werden, da durch die wirtschaftliche Not Wohlfahrtszahlungen an bedürftige Bürger aus der Gemeindekasse ausgezahlt werden mussten.(31) Diese Krisensituation schien den MTV nicht erfasst zu haben. In gewohnter Weise wurde das Wintervergnügen dieses Mal als bayrisches Volksfest mit Belustigungen und drei Musikkapellen, u. a. dem Vorsfelder Mandolinenclub, durchgeführt. Obwohl Eintritts- und Tanzgeld der Zeit angepasst waren, ergab sich für den Verein ein Überschuss von 102,13 RM. Wenn die Vorsfelder Bürger aus finanziellen Gründen nur an einem Vorsfelder Fest teilnehmen konnten, so gab man der Veranstaltung des MTV den Vorzug.

Das Jahr 1931 schien überhaupt ein Höhepunkt in der Vereinsgeschichte gewesen zu sein. Neue Turngeräte wurden angeschafft, der Vorturner Rudolf Wiegmann nahm an einem Lehrgang für Knabenturnen an der Turnschule des Deutschen Turnerbundes in Charlottenburg teil. Im Verein selbst herrschte reger Turnbetrieb: Gerätewettturnen in Braunschweig, Elmturnen, Gausportfest in Schöningen und das Bezirksturnfest in Gifhorn fanden immer mit Vorsfelder Beteiligung statt. Auch die sportlichen Erfolge blieben nicht aus. Von allen genannten Veranstaltungen kehrten Vorsfelder Turner kranzgeschmückt zurück. Auch im Faustball konnte an frühere Erfolge angeknüpft werden. So konnte die Jugendmannschaft den Titel eines Bezirksmeisters erringen. Bei einem gemütlichen Beisammensein wurden die Siege gebührend gefeiert und dem Turnwart Erich Behrens für seine aufopfernde Tätigkeit gedankt.

Ein Grund zur Freude: Die kleinen Sportler und ihre Vorturner fanden sich 1932 zum Erinnerungsfoto anlässlich des 70-jährigen Vereinsbestehens zusammen.

Während der MTV Vorsfelde sein sportliches und gesellschaftliches Hoch feiern konnte, rutschten andere Vereine wie z. B. der MTV Fallersleben in eine Krise.(32). 1932 erfolgte eine Zurücknahme der Förderung des Turn- und Sportwesens durch das Reich um 50 %. Die Folge war, bedingt durch die hohe Arbeitslosigkeit, eine große Austrittswelle in den Vereinen. Der Erwerbslosenanteil des Westdeutschen Spielverbandes lag bei 50 %.(33) Dieses Gebiet beherbergte viele Arbeitersportvereine, zum Beispiel Schalke 04. Im Gegensatz dazu schrieb Carl Diem, dass 1932 in 54 687 Vereinen mit 5 163 820 Mitgliedern Sport getrieben wurde. Hierzu kamen 14 038 Arbeitersportvereine.(34) Diese Vereinszahl ist die bisher höchste in der deutschen Sportgeschichte. International erreichte der deutsche Sport eine große Blüte, wenn aus finanziellen Gründen auch nur ein kleines Kontingent zu den Olympischen Spielen nach Los Angeles geschickt werden konnte. Viele Vereine versuchten die Austrittswelle zu stoppen, indem sie arbeitslose Mitglieder von einer Beitragszahlung befreiten. Dies veranlasste auch der Vorstand des MTV Vorsfelde. Er sprach sogar von guten Kassenverhältnissen, wies aber darauf hin, dass diese Tatsache nicht im „Vorsfelder Boten“ mitgeteilt werden sollte, um nicht etwaige Neider auf den Plan zu rufen. 35 RM Beitragsrückstände sollten in besseren wirtschaftlichen Zeiten abgerufen werden. Das Kassenbuch von 1932 weist bei 38 Männern lediglich einen Austritt auf, dem drei Zugänge gegenüberstanden. Die 24 Frauen hatten bei vier Abgängen fünf Neuaufnahmen. Hieraus ist ersichtlich, dass der allgemeine Trend auf dem Reichsgebiet für Vorsfelde nicht zutraf. Der Vorsitzende lobte den turnerischen Geist in allen Abteilungen, bedankte sich für die rege Beteiligung an den Sportabenden und hob besonders die vielen Siege bei den verschiedenen Veranstaltungen hervor.

Durch den Bau des Mittellandkanals verbesserten sich die Schwimmmöglichkeiten. Dies bewog den Verein, dem DLRG beizutreten. Ein einheitlicher Badeanzug sollte angeschafft werden. Das künftige Vereinsabzeichen war ein blauer Schriftzug „MTV“ auf weißem Grund. Die Forderung des Bezirksvorstandes, das Fußballspielen zu unterstützen, fand beim MTV keinen Widerhall. Dieses Spiel galt bei vielen Turnern noch nicht als gesellschaftsfähig. So erklärte der Sportwart, dass er die Fußballbewegung im Verein nicht unterstützen könne. Außerdem gebe es bereits mit dem SSV in Vorsfelde einen Verein, in dem fußballbegeisterte Sportler spielten. Die vereinseigenen Tore sollten dem Sportverein überlassen werden. Viele im Reichsgebiet veranstaltete Übungen besaßen eine paramilitärische Tendenz, die der MTV nicht nachvollzog. Das Deutsche Turn- und Sportabzeichen fand eine Ergänzung durch 25 km Gehen, Gepäckmarsch und Kleinkaliberschießen, alles Disziplinen, die hier nicht gepflegt wurden. Aber noch zu Zeiten der Weimarer Republik war gemäß der politischen Gesinnung der Mehrzahl ihrer Mitglieder die Deutsche Turnerschaft vielerorts ein Wehrverband geworden.(35)

(30) Deutsche Turnfeste, S. 63, Hrsg. Deutscher Turnerbund, Bad Homburg 1985
(31) Geschichte Vorsfeldes, Bd. 2, S. 63
(32) 140 Jahre MTV/VfB Fallersleben
(33) Eisenberg, Christiane, English Sports und Deutsche Geschichte
(34) Diem, Carl, Weltgeschichte des Sports und der Leibeserziehung, S. 995
(35) Eisenberg, Christiane, English Sports und Deutsche Geschichte