Kopfpauschalen und Kindersport ab März

BRAUNSCHWEIG.  Niedersachsens 24 größten Klubs, sieben aus unserer Region, kritisieren den Landessportbund und präsentieren einen Lockdown-Öffnungsplan.

Ute Berndt

Braunschweig Es hatte schon eine Weile gegärt. Nun machen Niedersachsens 24 größte Sportvereine ihrem Unmut über ihre Situation im Corona-Lockdown im Allgemeinen und den Landessportbund im Besonderen in einem offenen Brief Luft. „Die LSB-Informationen über die Mitgliederentwicklung hat uns alle verärgert“, erläutert Otto Schlieckmann, Präsident des mit federführenden MTV Braunschweig. Die Großvereine sehen sich viel stärker in der Not, als es die Zahlen des LSB ausdrücken und fordern mehr finanzielle Hilfen. Zugleich stellen sie einen Stufenplan für eine Rückkehr ins Breitensportgeschehen vor, für Kinder soll es schon am 1. März losgehen.

Es habe im Coronajahr 2020 rund 3,7 Prozent Mitgliederschwund bei den Sportvereinen im Land gegeben, im Schnitt habe also jeder Klub 10,5 Mitglieder verloren, hatte der Landessportbund gemeldet. Alles nicht so schlimm also, man könne vorsichtig optimistisch in die Zukunft blicken. Doch solch ein Mittelwert werde ihrem Problem überhaupt nicht gerecht, finden die großen Klubs mit mehreren tausend Mitgliedern und verlangen, dass der LSB ihre Probleme mehr in den Fokus rückt.

Viele kleine Vereine mit wenigen Sparten, bei denen Ehrenamt und familiäre Atmosphäre im Mittelpunkt stehen und die Bindung viel höher ist, haben gar keine Mitglieder verloren. Dagegen ist der Aderlass bei den Großen, bei denen es mehr um Leistung und Gegenleistung geht, viel größer. Von durchschnittlich acht Prozent Minus ist im offenen Brief die Rede, macht rund 500 pro Großverein, also 11.700 Austritte aus den 24 Klubs, die unterzeichnet haben, zwölf Prozent der landesweiten Austritte.

Für unsere Region ergibt sich kein einheitliches Bild. „Wir haben 686 Mitglieder verloren, das sind zwölf Prozent“, sagt Klaus Dünwald, Geschäftsführer des MTV Wolfenbüttel. Dagegen gibt es bei Eintracht Braunschweig laut Vereinsmanager Sven Rosenbaum keine Einbußen, weil beim Fußball-Zweitligisten nach dem Aufstieg noch mehr passive Unterstützer eingetreten sind. Nicolas Heidtke, Geschäftsführer des VfB Fallersleben, einer von vier Wolfsburger Unterzeichnern neben dem VfL, dem TV Jahn und dem MTV Vorsfelde, berichtet, der Mitgliederstand des VfB sei konstant geblieben.

Das größere Problem seien ohnehin die fehlenden Neuanmeldungen, verdeutlicht Heidtke. Gerade im Januar und Februar begrüßen die Großvereine normalerweise viele neue Mitglieder, mit denen sie ihren Schwund mindestens ausgleichen. Dieser Effekt fällt in diesem Jahr flach, und zur nächsten Kündigungsfrist Ende März drohen weitere Austritte.

Warum können die Großvereine nicht einfach leicht geschrumpft weitermachen und dafür ein paar Angebote einsparen? „Das sagt sich so einfach, aber fast alle Großvereine haben in den vergangenen Jahren hauptamtlich enorm draufgesattelt“, erläutert Schlieckmann, dessen MTV Braunschweig 30 Hauptamtliche, darunter 10 Sportlehrer beschäftigt. Dazu kämen eigene Sportzentren, die von den großen Klubs verstärkt gebaut wurden und werden. „Die Kosten laufen weiter, und um die zu decken, brauchen wir mehr Mitglieder“, betont Schlieckmann.

Und so fordern die Klubs in ihrem Perspektivpapier für 2021 eine neue „Sonderförderung Corona“ mit 60 Euro Kopfpauschale pro verlorenes, aber auch für jedes nicht hinzugewonnene Mitglied. Dazu solle die durchschnittliche Mitgliedergewinnung über fünf Jahre vor den Pandemie-Einschränkungen als Maßstab genommen werden.

Selbst Vereine, die bislang gut durch die Krise gekommen sind, müssten sich mehr Sorgen machen, verdeutlicht Schlieckmann. Neben fehlenden Mitgliedsbeiträgen belasten auch noch Mindereinnahmen aus besonderen Kursen, Kooperationen oder Freizeitangeboten, die nicht stattfinden können oder aufgrund von Hygienebestimmungen nur mit kleineren Teilnehmerzahlen, die Budgets.

Für 2020 haben die meisten Großvereine aus dem 8-Millionen-Euro-Nothilfetopf des Landes über den Landessportbund allerdings ihren Anteil bekommen. 40.000 Euro waren es für den MTV Braunschweig, 31.000 für den MTV Wolfenbüttel. Das Problem: Die Summe ist bislang gedeckelt. Maximal 50.000 Euro werden bei nachweislichen Mindereinnahmen pro Klub ausgeschüttet. Und so können die Großvereine für 2021 nur noch die Restsumme beantragen. „Hier würden wir uns wünschen, dass für 2021 nochmal nachgeschossen wird“, fordert Schlieckmann.

Wichtiger als ein Euro mehr oder weniger ist den Vereinen jedoch, dass sie so schnell wie möglich wieder mehr Sport anbieten können. Zum einen, um in der jetzigen Form zu überleben, zum anderen aber auch, um der sozialen Bedeutung des Breitensports gerecht werden zu können. „Wir reden ja nicht von den Mitgliedern in unseren Fitnessstudios, uns sind zum Jahresende unzählige Kinder und Jugendliche und deren Mütter weggebrochen“, verdeutlicht Schlieckmann. „Diese Kinder brauchen unbedingt Bewegung, da gibt es motorisch erschreckende Rückschritte.“

Bei diesem Argument wissen sich die Großvereine einig mit dem Landessportbund, der selbst fordert, „dass bei den beabsichtigten Öffnungen von Kitas und Schulen der Schul- und der Vereinssport für Kinder und Jugendliche gleichzeitig ermöglicht wird.“ Ab dem 7. März solle auch Sport in Gruppen möglich sein, sofern der Inzidenzwert von 35 unterschritten ist. Dass Kontakt- und Wettkampfsport in der Zeitschiene des LSB uneingeschränkt erst ab Ende Juli vorgesehen ist, stieß aber schon auf heftige Kritik der niedersächsischen Fußballer.

Das Land Niedersachsen hat einen „Stufenplan 2.0“ zur Abstimmung mit den anderen Ländern vorgelegt, in dem auch der Breitensport seinen Platz hat, und der je nach 7-Tage-Inzidenzwert gewisse Öffnungsschritte vorsieht. Bei einer Inzidenz unter 50 sollten beispielsweise Sportanlagen und Freibäder ohne Umkleiden und Duschen öffnen können und Kontaktsport mit maximal 30 Personen im Freien erlaubt sein. Kinder dürften demnach auch schon in Hallen, und in kleinen Gruppen könnten Hallenbäder genutzt werden. Bei einer Inzidenz unter 25 würde Kontaktsport mit 60 Personen erlaubt, unter Inzidenzwert 10 ohne Einschränkungen.

Der nun vorgelegte Stufenplan der 24 Großvereine, die „Sportampel Niedersachsen“, stützt sich auf einen Entwurf aus Bayern und nennt feste Daten für die Öffnungen. So sollen schon am 1. März bei einer Inzidenz unter 100 Kinder bis 7 Jahre unter Einhaltung des Mindestabstands in Trainingsgruppen Freiluftsport treiben dürfen. Zehn Sportler plus ein Trainer wäre die erlaubte Gruppengröße bei den bis 14-Jährigen.

Spätestens ab 7. März und bei einer Inzidenz unter 35 dürften nach diesem Plan draußen wie drinnen feste Trainingsgruppen kontaktlos trainieren. Ab den Osterferien wären zudem Ferienbetreuungs- und Sportcamps erlaubt. „Das ist total wichtig für die Sozialisation der Kinder“, betont Schlieckmann. Und bei einer Inzidenz unter 25 sollen feste Gruppen bis 20 Personen mit Kontakt draußen wie drinnen trainieren und Veranstaltungen ohne Zuschauer stattfinden dürfen.

Bislang sind all diese Öffnungspläne aber nicht über den Entwurfsstatus hinausgekommen. „Wir wollen, dass endlich vernünftig darüber geredet wird und dass die Sportminister, die ja auch eine Öffnung fordern, nicht wieder von den Ministerpräsidenten abgebügelt werden“, fordert Schlieckmann.

Doch selbst was erlaubt ist, ist nicht überall erlaubt. Ein limitierender Faktor sind seit Wochen die Entscheidungen der Kommunen, was sie auf ihren Sportanlagen und in ihren Hallen zulassen . So gestattete die Stadt Braunschweig ihren Klubs den laut Landesverordnung auch im Lockdown erlaubten Individualsport allein, zu zweit oder mit Mitgliedern eines Haushalts auf Antrag und bei tauglichen Hygienekonzepten seit dem Herbst durchgängig. In Wolfsburg öffnete die Stadt die Anlagen in dieser Woche.

Im Landkreis Wolfenbüttel hingegen ist weiterhin alles verboten. Erst vergangene Woche wurde ein Öffnungsantrag des MTV vom Krisenstab des Landkreises abgelehnt. „Es würde uns unheimlich helfen, wenn unsere Anlagen für den Individualsport geöffnet würden“, sagt Klaus Dünwald. „Das wäre auch ein Zeichen an die Mitglieder, dass was passiert.“

Die Vereine wollen mit Macht aus der Winterstarre. Man müsse übers Finanzielle ins Gespräch kommen, und der für den Sport zuständige Innenminister Boris Pistorius solle die „Sportampel“ mit Nachdruck in die nächste Konferenz der Ministerpräsidenten einbringen, unterstreicht Otto Schlieckmann die Dringlichkeit. „Es darf nicht erst nach den Osterferien sein, dass die Kinder bewegt werden.“

Wolfsburger Nachrichten, Seite 28, 18.02.2021